Im Rahmen eines Beratertreffens mit Kolleginnen und Kollegen neulich in Hamburg hatte ich die Gelegenheit, über verteilte Organisations- und Teamsituationen zu diskutieren.

Verteilt arbeitende und lebende Menschen arbeiten und kommunizieren hauptsächlich über technische „Tools“ und Plattformen zusammen. Entweder sie treffen sich in Telefon-, Video- und Webkonferenzen zeitgleich –synchron wie wir es nennen –  oder sie arbeiten zwischen diesen Meetings zeitversetzt – asynchron– zusammen. Sie erarbeiten Texte, Präsentationen gemeinsam auf Wiki-Plattformen, sie senden Kurznachrichten, sie quatschen über Chatsysteme. Die Technik verändert den Phänotyp des Miteinander-Redens erheblich. Das ist schnell einsichtig. Diese Kommunikationen sind so sehr unterschiedlich, dass Menschen die Andersartigkeit der virtuellen Kommunikation physisch spüren, oft auch erleiden. Befragt nach ihren Erlebnissen, schildern sie die virtuelle Kommunikation oft als weniger dicht, d.h. mit weniger Signalen verbunden und kompliziert, weil sie mit der Technologie nicht zurechtkommen oder die Technik nicht klappt. Insgesamt wird in der Regel die sog. Face-to-Face (F2F) Kommunikationsform als die „eigentliche“ und auch vernünftige und erstrebenswerte Kommunikationsform erachtet.

Wir haben auch über die Potenziale des virtuellen Kommunizierens gesprochen. Abgesehen davon, dass verteilt arbeitende Menschen sich weniger persönlich treffen können, dass sich Teams in globalen Organisationsformen- wenn sie sehr weit verteilt sind- vielleicht nie persönlich treffen, kann man auch leicht einsehen, dass es einige Vorteile der Kommunikationsformen in der Verteiltheit gibt. Man kann schnell mehr und interessante Menschen einbinden, da sie nicht physisch anreisen sein müssen. Kommunikation “Jeder zu seiner Zeit“ hat Produktivitätsvorteile, in globalen Organisation wird die Arbeit nach dem Prinzip „Follow the Sun“ (von Asien, über Europa nach Amerika) organisiert. Auch interkulturellen/interpersonalen Unterschieden in der Kommunikationspräferenz kann man Rechnung tragen: Manche Menschen kommunizieren lieber schriftlich, andere mündlich, manche brauchen sehr viel gemeinsame Intimität, andere bevorzugen eher distanzierte Räume. In der westlichen Kultur wird eher direkt kommuniziert, das extrovertierte Element ist in Organisationen das zumeist belohnte Verhalten. In vielen asiatischen Kulturen ist das Gegenteil eher der Fall. Hier sind Formen des asynchronen Arbeitens vermittelt über technische Systeme, wo man sich eher leise, im Nachgang, nach Abstimmung mit dem Team äußern kann, eher gewünscht.
Soweit die Vor- und Nachteile der Kommunikation in verteilten Arbeitssituationen. Und so gut. Einigkeit in der Gruppe.

Die Diskussion entzündete sich an der Frage, was an der neuen Art zu kommunizieren, wirklich anders ist, oder ob die Phänomene, um die sich die vermeintliche Andersartigkeit ranken, auch in der F2F Kommunikation bereits vorhanden sind. Wenn man die Positionen etwas schwarz-weiß zeichnet, geht es in etwa so:
(1) Die Kommunikation ist gleich: Das Argument mit der größeren Distanz, die Andersartigkeit hervorruft, ist ein Scheinargument, weil auch in der F2F Kommunikation eine Distanz zwischen den Kommunikations-parteien herrscht. Auch in einem F2F Meeting kann ich nicht in meine Kommunikationspartner hineinhorchen. Ich sehe nicht wirklich, was sie denken, ob sie gelangweilt sind, ob sie das, was ein anderer erzählt, gut finden, oder nicht. Auch in der F2F Kommunikation ist Nicht-Verstehen eher der Normalfall als die Ausnahme. Systemisch betrachtet geht es also in beiden Formen der Kommunikation um die Frage, wie man die Distanz vermindern kann, und nicht nur in der verteilten Arbeitssituation. Wenn man nun physisch stärker distanziert ist, muss man also nur „lauter“ werden, so das Argument, aber es geht nicht wirklich um eine neue Qualität. Soweit in etwa die Argumentation in Kürze.

(2) Die Kommunikation ist unterschiedlich: Die neuen Kommunikationsformen, die sich in der und durch die Verteiltheit herausbilden, haben bereits auf der Verhaltensebene erhebliche Auswirkungen gehabt. Das heißt, ganz praktisch ist die Kommunikation eine andere. Nur weil Goethe bereits sagte, dass er einen kurzen Brief geschrieben hat, weil er keine Zeit hatte, einen langen Brief zu schreiben, heißt das nicht, dass dies der Vorläufer der 140 Zeichen Twitter- Kommunikation war, und es sich eigentlich um das gleiche Phänomen handelt. Ich wende heute in der F2F-Kommunikation, in der Moderation, Elemente an, die ich in der Arbeit mit virtuellen Medien erprobt habe (eine analoge Twitter-Wall in Großgruppenveranstaltungen, Bilder und Filme statt klassischer Powerpoint in Teammmeetings). Die Verbindung von Außenwelt mit der Innenwelt, die Einbeziehung von externen Beteiligten in interne Zirkel (durch Streaming, mit Kommentierung, durch Aufschalten von virtuellen Teilnehmern, Kurznachrichten) ist für mich heute eine Selbstverständlichkeit, immer da wo ich es sinnvoll einsetzen kann. Ohne die virtuellen Übungen wäre ich nie auf diese Gedanken gekommen, obwohl ich das theoretisch hätte tun können (ein Argument aus der Diskussion….). Ich erlebe soviel Neues in der virtuellen Arbeit, im internationalen und interkulturellen Kontext, in der Direktheit und Schnelligkeit der Kommunikation zwischen Einzelnen, Gruppen und Massen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es „eigentlich dasselbe ist“.

Je höher man die Denke aggregiert oder verkonzeptionalisiert, je mehr man abstrahiert vom tatsächlichen Verhalten, desto weniger erscheinen die F2F-Kommunikation und die verteilte Kommunikation durch virtuelle Medien unterschiedlich. Und dass es sich immer um “Kommunikation” handelt, ist ohnehin klar. Watzlawick stimmt eben immer. Und Schulz von Thun trifft auch zu. Die 4 Ohren der Kommunikation, das Senden und Empfangen, die Rückkoppelung, die Tatsache, dass es Missverständnisse gibt und die Grenzen des Verstehens: Das alles gibt es in beiden Formen. Ich denke jedoch, dass die Begrifflichkeit nicht mehr alles beschreibt, was da jetzt losgetreten ist. Wir machen es uns zu leicht, die neuen Kommunikationsformen in der Verteiltheit mit den vertrauten Konzepten zu erfassen. Irgendwo zwischen der Wucht aus neuer Schnelligkeit, andere Leute und Gruppen einbeziehen, interkulturellem Einfluss und Schwerpunktverlagerung aus der eigenen Mitte heraus, muss es da noch mehr geben als nur einfach „lauter werden“, um die Distanz zu überwinden. Und vielleicht geht es ja auch überhaupt nicht darum, Distanz zu überwinden, sondern sie zu nutzen?

Die Kommunikationsforschung hat also noch einiges zu tun. Ich freue mich auf die Weiterführung der Diskussion. Ein weiteres Thema war übrigens in unserem Treffen: Brauchen wir in der Führung auf Distanz ein neues Leadership Modell? Oder müssen wir nur das, was wir eigentlich schon lange unter guter Führung verstehen und lehren, nur endlich anwenden? Wenn wir es nämlich nicht tun, werden wir bestraft von den Objekten unserer Führung: Mit Distanz. Doch davon ein andermal mehr.