Da geht es schon los: Welchen Begriff wählt man für das, um das es hier geht? Das generischste, was mir dazu einfällt ist, ist eine Beschreibung:“Kommunikation mit Hilfe des Internets”. Aber das verkauft sich natürlich nicht. Je nach Entwicklungsstand des Themas (Web 2/3/4.0), nach Zielgruppe für die Tools (Enterprise 2.0, Social Media), nach Aspekt, der betont werden soll (Social Enterprise, Arbeitsplatz der Zukunft, Digital Enterprise) haben wir es mit ganz unterschiedlichen Bezeichnungen zu tun.

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Klar geworden ist inzwischen, dass es bei den neuen Kommunikationsformen nicht nur um die Technik geht, dass aber gleichwohl die Technik eine große Rolle spielt. Die Perspektiven “Technik” und “Mensch” lassen sich nicht trennen, sie bedingen sich sogar gegenseitig. Ob die neue Kommunikation stattfindet, hängt davon ab, ob die Technik das, was ich machen will, auch leicht zulässt, ob ich die Kompetenz in der Toolbedienung habe und ob ich überhaupt motiviert bin, Informationen in dieser transparenten Form zu teilen oder mit technischen Mitteln in einen Dialog zu treten. Dabei spielen der organisatorische Rahmen und kulturellen Bedingungen eine Rolle. Und dann gibt es noch die Digital Natives Diskussion. Ziemlich umfänglich also, was da alles so hineinspielt.

Fassen wir einige Erkenntnisse aus der aktuellen Diskussion in Konferenzen und Messen zu diesem facettenreichen Thema zusammen. Aber soviel gleich vorweg: Morgen kann es – ach, es geht ja alles so schnell, dass man kaum nachkommt – vielleicht schon wieder ganz anders sein:

  • Die praktische Einführung und Umsetzung von “Social Business”(diesen Arbeitstitel verwende ich jetzt mal) in Organisationen ist ein Veränderungsprozess und braucht lange Zeit (5 Jahre+), zumindest in großen Einheiten und ist eigentlich nie beendet. Die Hoffnungen auf schnelle Tooleinführung und alle-machen-begeistert-mit sind inzwischen beiseite geschoben. Eine Erkenntnis, die für diejenigen, die sich mit Veränderungsprozessen beschäftigen, nicht gerade neu und überraschend ist. Hier ist eher Erstaunen angebracht, dass dieses Praxisfazit gerade jetzt als eine wichtige neue Erkenntnis immer hervorgehoben wird :-).
  • Die interne Vermarktung des Themas unter den Oberbegriffen“Social“ oder “Collaboration” oder ähnliches ist kein Treiber, kein Motivator (“Social ist out”). Daher ist auch eine Technikeinführung, die lediglich verspricht, dass jetzt mehr oder besser kommuniziert werden oder zusammengearbeitet werden kann, kein erfolgversprechendes Verkaufsargument in Richtung der Anwender, die Mitarbeiter und Führungskräfte in einer Organisation. Vielmehr braucht es eine konkrete Anwendung und einen Nutzen, gar einen Schmerzpunkt. Es wird jetzt immer mehr von einem “Business Case” als Startpunkt und notwendige Voraussetzung für eine nachhaltige Wirkung gesprochen, die dann multiplizierend die weitere Entwicklung beeinflusst. In dem Zusammenhang ist die Messung des Nutzens, des Erfolges, der Verbesserung sehr wichtig. Das heißt, eine Antwort auf die Frage: Warum gebe ich dafür Geld aus und investiere hier meine knappe Zeit?
  • Ein Blick auf die Landschaft der Implementierung von Social Business in die Organisationspraxis zeigt eine breite Palette von Anwendungen. Inzwischen gibt es sehr viele Organisationen, vermutlich sogar die Mehrheit, die über Social Tools verfügen. Ein Intranet, gemeinsame Kalender, eine Kollaborationsplattform oder ein Webconference System findet man häufig als Angebot für die Mitarbeitenden. Die Tools werden hier allerdings nicht in der möglichen Funktionsbreite genutzt, sondern lediglich beispielsweise als ein internes schwarzes Brett, etwa um den Speiseplan der Kantine zu veröffentlichen, private Verkäufe der Mitarbeiter zu organisieren oder als eine Art Hofberichterstattungsorgan der Geschäftsleitung. Eine Anzahl Unternehmen, deren Menge keiner genau kennt, hat bereits einen formalisierten Prozess gestartet, der bewusst auf die Verbesserung der Zusammenarbeit von Teams ausgerichtet ist oder der die Kommunikation aller Mitarbeiter untereinander oder in themenbasierten Communities ermöglichen und verbessern soll. Einige dieser Organisationen sind am Anfang eines solchen Prozesses, andere sind schon nach einigen Misserfolgen und Lernerfahrungen auf einem höheren Level. Eine dritte Gruppe ist deutlich fortgeschritten. Diese Organisationen haben zahlenmäßig viele Communities, manche funktionieren auch richtig gut. Die entsprechenden Beispiele werden als Leuchtturmprojekte auf Konferenzen vorgestellt (SIKA, Sennheiser, Michelin, BNP etc.). Und dann gibt es schließlich diejenigen, die über dieses Level bereits hinaus fortgeschritten sind. Diese sind nach 10 oder 15 Jahren Erfahrungen mit Kommunikations- und Collaborationstool soweit, dass es um mehr als nur Collaboration geht: Hier geht es um die “Digitale Transformation” des Unternehmens. Der Unterschied zu den weniger anspruchsvollen Zielsetzungen ist, dass hier aus der neuen Form der Kommunikation, der Transparenz des Wissens und der Kooperation mehr entstehen soll als nur bessere Collaboration selbst: Ziele sind Innovation, neue Produkte und Dienstleistungen. Das sind auch die Unternehmen, die in ihre Vision und Geschäftsmodellüberlegungen das digitale Thema voll integriert haben (Bosch, Siemens, Continental). Hier geht es dann in den Entwicklungslinien um den großen Datenbegriff „Digital“, also Internet der Dinge und Big Data.
  • Es gibt immer mehr Tools (wohl so um die Tausend, keiner weiß das so genau). Das sind einmal Strukturtools, die Arbeit organisieren helfen wie Filesharing Services, Projektmanagement, und andererseits Kommunikationstools, die vor allem den Dialog zwischen den Mitarbeitenden zum Ziel haben. In dem großem Markt der Toolanbieter setzen sich einige Lösungen mehr und mehr durch, die versuchen, mit dem Stichwort “Unified Communication” alle Kommunikationsereignisse über eine (ihre eigene natürlich!) Plattform abzubilden. Hier sind wieder die großen Anbieter zu nennen (IBM Connections, Microsoft Office 363/Sharepoint, Jive etc.) Da hier bereits etablierte Vertriebskanäle und Vertriebsbeziehungen zu den Kunden bestehen, kann man diesen Trend der Ausbreitung als gesichert ansehen. Gleichzeitig gibt es aber auch den Trend zurAusdifferenzierung der Toolnutzung: Spezifische Stärken und Schwächen einzelner Tools und Erfahrungen in der Praxis führen zum differenzierten Tooleinsatz. Es ist inzwischen klar, dass mit einem Tool nicht alle Anforderungen gleichermaßen gut abgebildet werden können. Wiki-Seiten mit Kommentarfunktion oder Foren sind für schnellen Informationsfluss zu umständlich zu bedienen. Andererseits müssen manche Informationen, die über die schnellen Microblogging (Twitter bzw. organisationsinterne Alternativen) Plattformen und Chats laufen, verdichtet und archiviert werden, damit tatsächlich am Ende Wissen generiert werden kann. Und es müssen auch Prozesse und Regeln definiert werden, wie dieser Transfer passiert.
  • Es scheint, als ob der Hype, den bestimmte Buzz Words wie Enterprise 2.0, Social Intranet oder Digitale Transformation auslösen, immer schneller wird. Und wenn man betrachtet, wo sich die Themen in der Entwicklungsstufe befinden zwischen dem Zeitpunkt, wo sie gerade überall besprochen werden und dem, wo sie verbreitet Eingang in die Praxis finden, dann kann man auf jeden Fall sagen, dass trotz vieler enttäuschten Erwartungen viele Projekte aus dem Hype Cycle doch in der Praxis angekommen sind. Zumindest stellt man sich die gleichen (alten) Fragen auf immer höherem Erkenntnisniveau: Wie erreiche ich Beteiligung, wie organisiere ich das generierte Wissen, wie mache ich die Informationen nutzbar?
  • Als nächstes die vieldiskutierte Frage: Gibt es die Best Practices? Antwort: Die gibt es wohl nicht. Man sollte auch das Wort vermeiden, weil das zu einer Abwertung aller anderen durchaus nützlicher Aktivitäten führt. Social Business ist von den Rahmen- und Umsetzungsbedingungen her so komplex, dass sich jede Organisation letztlich den eigenen Weg suchen muss. Gleichwohl gibt es einige Erfolgsfaktoren. Diese aber in die richtige Reihenfolge oder Prozessschritte zu überführen, dafür gibt es keine Blaupause. Also, was braucht es? Alle Profis scheinen sich einig zu sein, dass es nicht ohne Training geht, selbst wenn das einzelne Tool leicht zu handhaben ist. Aber es geht schließlich immer um die Verbindung mehrerer Tools und die Arbeitsprozesse hinter den Kommunikationstools, und das ist dann nicht mehr trivial. Irgendwann müssen auch das Top-Management und die oberen Führungskräfte hinter die neuen Kommunikationsformen gebracht werden, denn sonst verlaufen die Initiativen im Sande bzw. erreichen nicht den nötigen Effekt. Die Maßnahmen auf der konkreten Team- oder Community-Ebene brauchen einen gesamtstrategischen Anker bzw. einen Bezug zur Geschäftsstrategie. “Warum machen wir das, wie passt das zu unserem Geschäft und wie verbessert das unser Geschäft”? Diese Fragen müssen über kurz oder lang in der Organisation beantwortet werden. Es geht auch nicht ohne Budget. Der Multiplikatoreneinsatz, die Community Manager (wie auch immer deren Rolle genau definiert ist), das ganze Unterstützungsmanagement für Führungskräfte und Communities kosten Zeit und Geld. Punktum.
  • Darf es noch ein bisschen mehr Komplexität sein? Wie verknüpfen wir die Initiativen, die es außer dem Social Business noch in der Organisation gibt, mit dem Social Business? Neue Formen des Lernens, bereits vorhandene Ansätze zum Wissensmanagement, das Intranet und die Social Media Aktivitäten mit Kunden, alles hängt irgendwie zusammen und verfolgt manch gleichgelagerte Ziele. Die Maßnahmen können sich unterstützen oder behindern. Und sie können auch die Mitarbeitenden verwirren, die sich im Dschungel der Möglichkeiten nicht mehr zurechtfinden. Wo gehört welche Information hin, was steckt man in welche Kiste? Hier gibt es jetzt überhaupt keine allgemeingültigen Antworten, eher häufen sich die Fragen. Und überall ist Bewegung. Im Sinne des Transformationsgedankens geht es also sicher nicht darum, einenbestimmten Change-Prozess zu organisieren, sondern eher darum, die Organisation insgesamt zum Umgang mit permanenten Veränderungen der Kommunikation zu befähigen, und dann im Prozess konkrete Antworten zu finden. Die Antworten braucht man nun mal im Managementhandeln. Schließlich müssen Entscheidungen getroffen werden, über Tools und Prioritäten, Ressourcenallokationen und Budgets.
  • Damit sind wir schließlich bei den verantwortlich Handelndenangelangt. Wer ist für einen solchen Prozess in der Organisation zuständig? Im Spannungsfeld zwischen Top- down und bottom-up, zwischen Organisation und Selbstorganisation (ein großes Diskussionsthema!) geht es hier sehr bunt in der Auseinandersetzung zu. Von einer neudefinierten Rolle des CIO, der das Thema Social Business jetzt mitübernimmt, über einen eigenen Collaboration Officer auf dem C-Level (weil der CIO in der Regel andere professionelle Schwerpunkte setzt), bis zum Human Resource Department als letztlich Verantwortliche in der Umsetzung, weil es schließlich um die erfolgskritischen Arbeitsplatzaspekte geht: Rechtsthemen wie Daten und Informationsschutz, Regelungen zur Arbeitszeit und Home Office usw. Von der Work-Life Balance ganz zu schweigen. Und auch der CEO und die ganze Geschäftsleitungmüssen dahinter stehen und auch mit eigenem guten Beispiel vorangehen – vielleicht sogar mit einem eigenen Blog (Achtung: unterschiedliche Erfahrungen!). Am besten – so heißt es – fühlen sich jedoch alle genannten gleichermaßen verantwortlich und arbeiten als Team an dem Thema. Was es in der Praxis allerdings auch nicht einfacher macht.

Gesamtfazit zur gegenwärtigen Social Business Diskussion: Es geht voran, das Niveau steigt, es gibt eine Parallelität unterschiedlicher Entwicklungen in den Organisationen. Es zeichnen sich durchaus einige Erfolgsfaktoren und Lernerfahrungen ab, auf die man bauen kann.

Und ansonsten muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ach ja, ohne sehr engagierte Einzelne, die auch bereit sind, über lange Zeiträume mit Spaß das Engagement über schwierige Phasen zu halten und am Ball zu bleiben, geht gar nichts!

Was in der derzeitigen Diskussionen zu kurz kommt, ist das, was „social“ ausmacht: Die Interessen und Bedürfnisse des Einzelnen und die Rolle sozialer Beziehungen für den Erfolg von Kommunikation und Zusammenarbeit in den Vordergrund zu stellen. So ist die Bewegung mal gestartet. Stattdessen ist Social Business heute sehr auf das Ziel hin ausgerichtet, das Wissen des Einzelnen für das Unternehmen nutzbar zu machen, effektivere Businessprozesse zu gestalten, und die Organisationstrukturen und Tools entsprechend anzupassen und auszuwählen. Kurzum, es geht darum, wie man „social“ dazu nutzen kann, mehr Produktivität zu erreichen. Das ist im Unternehmenskontext kein ehrenrühriges Ziel, diese Fokussierung alleine reicht langfristig allerdings nicht: Wer wirklich Social Business will (das heißt maximale Beteiligung aller Mitarbeiter, Partner, Kunden an verschiedensten Unternehmensaktivitäten), der muss akzeptieren, dass er dazu Weisungsmacht und Kontrolle abgeben muss. Es geht darum, dem Einzelnen mehr Handlungsmacht zu geben, ihn zu „empowern“ und alsKonsequenz mehr Motivation und mehr Produktivität zu erhalten.

Das macht im Kern den neuen Führungsstil aus, der im Zusammenhang mit Social Business immer gefordert wird.